Nachgedacht
Pfarrer
Marc-Albrecht Harms
Dieses Mal ein etwas anderes Nachdenken zu Beginn unseres Gemeindebriefes. Dietrich Bonhoeffer, Briefe aus dem Gefängnis in Berlin-Tegel, 09. März 1944, aus „Widerstand und Ergebung“:
„Zum zweiten Mal erlebe ich die Passionszeit hier im Gefängnis. Ich wehre mich innerlich dagegen, wenn ich in Briefen Wendungen lese, die von meinem „Leiden“ sprechen. Man darf diese Dinge nicht dramatisieren. Ob ich mehr „leide“ als Du oder die meisten Menschen ist heute überhaupt, ist mir mehr als fraglich. Natürlich ist vieles scheußlich, aber wo ist es das nicht? Vielleicht haben wir an diesem Punkt überhaupt manches zu wichtig und feierlich genommen. Ich habe mich früher manchmal darüber gewundert, wie lautlos Katholiken über diese Fälle hinweggehen. Sollte das aber doch vielleicht die größere Kraft sein? Vielleicht wissen sie aus ihrer Geschichte besser, was wirklich Leiden und Martyrium ist, und schweigen zu geringfügigen Belästigungen und Hemmungen. Ich glaube z. B. dass zum „Leiden“ entscheidend auch das körperliche Leiden hinzugehört, wirkliche Schmerzen usw. Wir betonen so gern das seelische Leiden; gerade dieses aber sollte uns Christus abgenommen haben und ich finde im Neuen Testament oder auch in den altchristlichen Märtyrerakten nichts davon. Es ist doch wohl ein großer Unterschied, ob die „Kirche leidet“ oder ob einem ihrer Diener dieses oder jenes widerfährt. Ich glaube, hier muss manches korrigiert werden; ja, offen gestanden, ich schäme mich manchmal fast, wie viel wir von unserem eigenen Leiden gesprochen ha- ben. Nein, Leiden muss ganz etwas anderes sein, eine ganz andere Dimension haben, als was ich bisher erlebt habe.“ Am 5. April 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer verhaftet, am 9. April 1945 wurde er hingerichtet, einen Monat vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Wir gedenken an das Wirken Dietrich Bonhoeffers in diesem Jahr besonders in einem mit Jugendlichen gestalteten Gottesdienst am 18. Mai um 10 Uhr in der Friedenskirche.
Schon 1933 beschrieb Bonhoeffer drei Aufgaben, welche die Kirche in der Gegenwart erfüllen müsse:
1. Die Kirche hat den Staat zu fragen, ob sein Handeln von ihm als legitim staatliches Handeln verantwortet werden könne.
2. Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören.
3. Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.
Diese Aufgaben der Kirche sind aktueller denn je. Bonhoeffer hat uns heute noch genauso viel zu sagen, wie den Christen seiner Zeit.
Eine besinnliche Passionszeit und eine frohe Osterzeit wünscht Ihnen Marc-Albrecht Harms.